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Der erste Monat beim Hilsfswerk ABAI im Süden Brasiliens

Aktualisiert: 26. Okt.

Die ersten vier Wochen IZA-Praktikum bei der ABAI vergingen wie im Flug. Ende September verbrachte ich zunächst einige Tage in der nächstgelegenen Grossstadt Curitiba und erreichte anschliessend Mandirituba, eine Gemeinde mit rund 27'000 Einwohner:innen. Etwa 15 Autominuten ausserhalb, mitten in einem Wald, liegt das Hilfswerk der ABAI mit seinen verschiedenen Anlagen. Vormittags werden hier täglich 116 Kinder im Alter zwischen vier und zwölf Jahren betreut. Fünf Pädagog:innen ermöglichen ihnen in unterschiedlichen Workshops den direkten Kontakt mit der Natur und führen sie in die Themen der Agrarökologie ein.

Am Nachmittag kommen die Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und achtzehn Jahren hinzu. Sie nehmen alle freiwillig teil, um gemeinsam zu lernen, sich auszutauschen oder Fussball zu spielen. Den meisten Kindern und Jugendlichen ist gemeinsam, dass sie aus schwierigen familiären Verhältnissen stammen und in ihrem Alltag mit Armut oder Gewalt konfrontiert sind.


Zum Bereich der sozialen Integration gehört auch eine therapeutische Wohngemeinschaft, in der Männer zwischen 25 und 60 Jahren mit langjähriger Alkohol- oder Drogenabhängigkeit einen Entzug bewältigen können. Während ihres neunmonatigen Aufenthalts bei der ABAI orientieren sie sich neu und arbeiten täglich auf dem Betrieb mit. Ziel ist es, ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu fördern. Die Geschichten dieser Männer sind teilweise sehr erschütternd, und es ist beeindruckend, mit welcher Willenskraft sie trotz den schwierigen Lebensumständen ihren Weg gehen.


Das Hauptgebäude der ABAI, wo täglich miteinander gegessen wird. Im Hintergrund ist die Paraná-Kiefer (Araucaria angustifolia) zu sehen, für deren Fällung in ganz Brasilien ein Genehmigungserfordernis besteht und welche köstliche Samen (pinhões) produziert.
Das Hauptgebäude der ABAI, wo täglich miteinander gegessen wird. Im Hintergrund ist die Paraná-Kiefer (Araucaria angustifolia) zu sehen, für deren Fällung in ganz Brasilien ein Genehmigungserfordernis besteht und welche köstliche Samen (pinhões) produziert.

Meine ersten Eindrücke des Praktikums übertreffen meine Erwartungen, da ich von allen Mitarbeiter:innen und den Kindern herzlich aufgenommen wurde und insbesondere von der Projektgründerin Marianne Spiller bestens betreut werde. Zu Beginn hatte ich noch grossen Respekt bezüglich der Sprache, doch ich gewöhne mich im täglichen Umgang immer mehr an das Portugiesisch, dessen Klang mich immer wieder begeistert und mich motiviert, die Sprache besser sprechen zu können. Der abgelegene Standort der ABAI sowie deren agrarökologischen Fokus, macht es zudem sehr einfach, mich hier wohlzufühlen. Es wird eine entschlossene Philosophie gelebt, welche sich der Macht des Agrarbusiness widersetzt und kleinbäuerliche, biologische Landwirtschaft fördert. Viel Gemüse stammt aus eigener Produktion und der Rest wird von einer biologischen Kooperative bezogen («Coopervida»).

 

Ein weiterer Schwerpunkt der ABAI bildet das Saatguthaus namens «Casa da Semente». Zwei Tage pro Woche helfe ich dort mit – etwa bei Keimtests, beim Abpacken des Saatguts und bei anderen anfallenden Arbeiten. Insgesamt beliefern rund 20 kleinbäuerliche Betriebe die ABAI mit kreolischem, biologischem Gemüsesaatgut, das hier getestet und anschliessend weiterverkauft wird. Die gesamten Einnahmen gehen an die beteiligten Landwirt:innen.

Das Saatguthaus selbst – wie übrigens auch die ABAI insgesamt – finanziert sich ausschliesslich über Spenden.


Vorbereiten eines Keimtests mit Maissamen, die anschliessend in den Keimschrank gelangen, der optimale Bedingungen für die Keimung aufweist.
Vorbereiten eines Keimtests mit Maissamen, die anschliessend in den Keimschrank gelangen, der optimale Bedingungen für die Keimung aufweist.

In dieser Woche durfte ich an einem zweitägigen Rundgang teilnehmen, bei dem wir die Saatgutproduzent:innen auf ihren Höfen besuchten. Die meisten von ihnen verkaufen ihr biologisch angebautes Gemüse über eine Kooperative. Als zusätzliches Standbein lassen sie verschiedene Gemüsesorten versamen, um das Saatgut anschliessend an die "Casa da Semente" zu liefern. Eine häufige Herausforderung besteht darin, dass sich hybride oder gentechnisch veränderte Maissorten aus den umliegenden Feldern durch den Wind mit den kreolischen Sorten der Kleinbäuer:innen vermischen können. Auch solche möglichen Kreuzungen werden im "Casa da Semente" überprüft und getestet. Bei der Besichtigung der Betriebe wurde deutlich, wie viel Handarbeit in der Vermehrung von Gemüsesaatgut steckt und wie viel wertvolles Know-how sich die Landwirt:innen über die Jahre angeeignet haben.

Die schnellwachsende Biomasse in Brasilien unterstützt die biologische Anbauweise erheblich, da durch das anfallende Mulchmaterial die Böden optimal abgedeckt und gedüngt werden. Dadurch wirkte die Qualität der Böden auf nahezu jedem Hof hervorragend und lebendig.


Der Landwirt Israel in seinem ca. 1-Hektar grossen Gemüsegarten, wo er unter anderem Saatgut vermehrt.
Der Landwirt Israel in seinem ca. 1-Hektar grossen Gemüsegarten, wo er unter anderem Saatgut vermehrt.
Zuhause bei Luis-Alfredo, welcher sich auf die Vermehrug von Mais- und Bohnensorten spezialisiert hat.
Zuhause bei Luis-Alfredo, welcher sich auf die Vermehrug von Mais- und Bohnensorten spezialisiert hat.

Im Engagement gegen die Monopolisierung von Saatgut und Landwirtschaftlicher Fläche ist zudem die enge Zusammenarbeit mit indigenen Völkern wichtig für die ABAI. Denn diese müssen in Brasilien nach wie vor um ihr Existenzrecht kämpfen. Die grösste Indigene Gemeinschaft in Brasilien bilden die Guaranís. Die ungefähr 51’000 Menschen leben in winzigen Reservaten, währed ihr ursprüngliches Gebiet von über 6 Millionen Hektar vom Agrarbusiness brutal enteignet wurde. Meistens zum Zweck für Soja- und Zuckerrohranbau sowie Rinderweiden. Die Folgen für die Guaranís sind Hunger, Unterernährung, Krankheiten, Perspektivlosigkeit und hohe Suizidraten. Eine Guaraní Familie war bei einem Saatgutfest dabei, an dem ich mit der ABAI teilnehmen durfte. Aus ihren Gesängen hörte ich den Schmerz heraus, welcher mit dieser Unterdrückung einhergeht. Der diskriminierende Umgang mit den indigenen Völkern ist nicht nur aus humanistischer Perspektive inakzeptabel, sondern hat auch verheerende Folgen für das Klima und die Biodiversität. Es wird davon ausgegangen, dass indigene Völker weltweit ca. 80% der verbleibenden Artenvielfalt bewahren, obwohl sie nur rund 6% der Weltbevölkerung ausmachen. Die Unterstützung indigener Gemeinschaften leistet somit einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz. Für die Kinder der ABAI bedeutet diese Zusammenarbeit zudem eine wertvolle Möglichkeit, sich mit ihren eigenen kulturellen Wurzeln auseinanderzusetzen und ihre Identität zu stärken.


Eine Guaraní-Familie am Saatgutfest
Eine Guaraní-Familie am Saatgutfest

Meine Projektarbeit

Gemeinsam mit dem Leiter Gilberto da Silva entwickelte ich die Idee, eine Pflanzung des indigenen Maises „Avaxi-Ete’i“ als agrarökologisches Bildungsprojekt mit den Kindern umzusetzen. Gilberto kam selbst als kleiner Junge zur ABAI, da er aus prekären familiären Verhältnissen stammt. Über seine heutige Arbeit sagt der 43-jährige heute: «Ich weiss, was die Kinder leiden, denn ich sehe mich selbst in jedem von ihnen.» Ziel dieses Projekts ist es, bei den Kindern das Bewusstsein für den Maisanbau zu stärken und zu vermitteln, warum kreolisches Saatgut sowohl ein wichtiges kulturelles Erbe als auch ein Symbol von Unabhängigkeit und Identität darstellt. Der Mais „Avaxi-Ete’i“ gilt bei den Guaraní als heilig und wird in besonderen Zeremonien verwendet. Neben dem praktischen Teil der Pflanzung und Pflege soll in den Workshops gemeinsam mit den Kindern eine Diskussion über gesundes Saatgut und Nahrungsmittel entstehen. Am Ende wird die Kindergruppe "Camomila" von Leiter Jonatas Costats Moreira, mit welchen ich den Mais gesät habe, die geernteten Maiskolben zu einer anderen agrarökologischen Schule bringen. Das Projekt ist damit auch ein inter-schulischer Austausch, bei dem die Kinder der ABAI selbstständig und stolz ihre Arbeit und Ernte präsentieren sowie der anderen Klasse von ihren Erfahrungen berichten können.


Das vorbereitete Maisfeld (8m x 16m)
Das vorbereitete Maisfeld (8m x 16m)

In Absprache mit Jonatas, wurde die Idee entwickelt, die Maispflanzung mit dem Milpa-System zu verbinden. Die Milpa ist ein traditionelles landwirtschaftliches System, das seinen Ursprung bei den Maya in Mittelamerika hat und dort seit Jahrhunderten bis heute praktiziert wird. Es basiert vor allem auf dem gemeinschaftlichen Anbau von Mais, Bohnen und Kürbissen und dient den indigenen Bevölkerungsgruppen in Mexiko, Guatemala, Honduras und El Salvador überwiegend der Selbstversorgung. Der starkzehrende Mais erhält in der Pflanzgemeinschaft mit der Bohne den notwendigen Stickstoff, sodass theoretisch kein zusätzlicher Stickstoff Dünger ausgebracht werden muss. Einzig drei Kilogramm Kalksteindünger wurde vor der Pflanzung auf dem Feld ausgebracht. Diese Kalkdüngung verbessert die Nährstoffaufnahme, stärkt das Wurzelwachstum und gewährleistet zudem, dass sich der boden in einem neutralen pH-Bereich befindet, was optimal für den Mais ist.


Während Maissamen und Bohnen bereits gesät wurden, steht das Säen der Kürbissamen noch an. Dies soll nächste Woche geschehen, zusammen mit einem theoretischen Input zu der Milpa. Danach wird es die Pflege des Feldes benötigen; also die Beseitigung der Unkräuter sowie das Ausdünnen der jungen Pflanzen. Auch auf mögliche Schädlinge oder Krankheiten muss ich vorbereitet sein, um rechtzeitig mit biologischen Massnahmen reagieren zu können.Zusätzlich gehört eine Recherche zur Geschichte der Maispflanze zu meinen Aufgaben. Diese Informationen sollen in die Infobroschüren zu "Avaxi-Ete'i" integriert werden, an denen Marianne Spiller derzeit arbeitet.

In zwei bis drei Monaten – leider nachdem mein Praktikum bereits beendet sein wird – werden die Kinder gemeinsam mit Jonatas die Maiskolben ernten und sie anschliessend an eine Klasse einer agrarökologischen Schule verschenken.


Jonatas und die Gruppe "Camomila" bei der Pflanzung der Mais- und Bohnensamen.
Jonatas und die Gruppe "Camomila" bei der Pflanzung der Mais- und Bohnensamen.
Avaxi-Ete'i
Avaxi-Ete'i

Ein weiteres Projekt ist die Instandsetzung eines vernachlässigten Gewächshauses direkt neben dem "Casa da Semente". Zu den ersten Massnahmen, die ich ergriff, gehörten das Einarbeiten von Mist, die Aussaat von Leguminosen zur Stickstoffanreicherung sowie die regelmässige Bewässerung. Ziel ist es, den Boden und seine Mikroorganismen wieder zu aktivieren, damit in einigen Wochen beispielsweise Tomaten gepflanzt und die Beete zudem für die Saatgutgewinnung genutzt werden können. Derzeit stehe ich noch im Austausch mit einem Betreuer, der eine Gruppe zwölfjähriger Kinder leitet. Gemeinsam mit ihnen soll in einem Workshop eines der drei Beete im Gewächshaus bepflanzt werden.



Gewächshaus mit trockenem, inaktivem Boden
Gewächshaus mit trockenem, inaktivem Boden


Zeitungsartikel über die ABAI:



 
 
 

1 Kommentar


humo
29. Okt.

Danke für den packend geschriebenen Einblick in dein IZA-Praktikum. Ich bin neugierig, wie es weitergeht. Monika

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